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Coffee Mix

Außenpolitik ohne Rückgrat

Was hat die deutsche Außenpolitik nur gegen Aung San Suu Kyi? Ist das ein Erbe der DDR, die eine Uniform jedem Dissidenten vorgezogen hat? Hat sich über Sprachlehrer und Akademiker ein gewisses Naserümpfen über ein für deutsches Befinden sehr ordnungsfremdes, emotionales und oft in sich inkonsistentes Verständnis von Demokratie bei birmanischen Aktivisten bis in die Ebenen der Diplomatie und Wirtschaftsstrategen forgetragen, wo es auf ein ohnehin schon nicht ganz einfaches Verhältnis zur Basisdemokratie getroffen sein mag?

Der Artikel “The Eye of the Storm” von Aung Zaw, dem Chefredakteur vom Irrawaddy, beschreibt es so vielsagend, dass ich es hier einfach (übersetzt) zitiere:

Zusätzlich zum Drängen auf internationale Unterstützung für Thein Sein und seine neue Regierung waren Einige in der internationalen Gemeinschaft bemüht, Suu Kyi in die Bedeutungslosigkeit zu drängen. Tatsächlich hat der deutsche Botschafter in Birma, Julius Georg Luy, monatelang versucht gehabt, Suu Kyi auf den selben Platz zu verweisen wie Vertreter kleiner demokratischer Parteien, denen Birmas Militärregime erlaubt hatte, in den vorgetäuschten Wahlen Parlamentssitze zu gewinnen, um ihnen so Legitimität zu verleihen.

Am 14. März hielten die europäischen Botschafter in Birma ein Treffen hinter geschlossenen Türen ab, um über ihre Positionen bezüglich der damals anstehenden Neubewertung der EU-Sanktionen zu diskutieren. Wie eine gut informierte Quelle verraten hat, hat sich der deutsche Botschafter dagegen ausgesprochen, Suu Kyi’s Namen in offiziellen EU-Verlautbarungen zu erwähnen.

 

Luy sei, so der Artikel, auch gegen ein gesondertes Treffen mit Suu Kyi – immerhin die unangefochtene Oppositionsführerin und Siegerin der letzten demokratischen Wahlen im Land – gewesen. Der Eindruck drängt sich folglich auf, dass hier die deutsche Diplomatie versucht, sich beim Regime durch besondere Stromlinienförmigkeit hervorzutun.

Es ging hier ganz eindeutig nicht darum, den Dialog jenseits von Suu Kyi zu erweitern oder einen naiven und kontraproduktiven Personenkult um ihre Person zu vermeiden – beides sehr legitime Ansinnen. Dem damaligen Diktator Than Shwe war sie ein Dorn im Auge, so dass nun einige, statt den Diktator zu bekämpfen, vielmehr versuchten, den Dorn zu beseitigen. Warum?

Vielleicht sind es ganz banale wirtschaftliche Interessen, es geht um Geld und den deutschen Komplex, den man seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit seiner ökonomischen Superpotenz zu heilen versucht, mit Qualität Made in Germany und Export(ex)weltmeistertiteln. Wo immer in der Welt die Kolonialmächte verschwunden sind, dort kommt nun die Nation, die mit ihren Kolonien immer in der zweiten Liga hat spielen müssen. Vielleicht aber ist es auch ganz einfach nur eine Obrigkeitsethik, der zufolge jede Autorität ein Beleg von Erfolg ist und somit ihre Legitimität im Sinne des Leistungsdenkens automatisch in sich trägt. Und jede Junta und ihre demokratischen Fassaden erfüllen natürlich auch die Sehnsucht nach Ordnung und berechenbaren Zuständen.

Dies sind nur ein paar unverbindliche Erklärungsversuche, die mir einfallen, wenn ich die Motive für den Versuch, die Dissidentin politisch auszuschalten, zu verstehen versuche. Der Begriff “vorauseilende Gehorsamkeit” fällt mir ein – leider wohl noch immer ein peinliches Stück deutschen Kulturgutes. Wenn Birma eines Tages zur wirklichen Demokratie finden wird, dann wird man als Deutscher wohl nur sehr kleinlaut – oder mit dickem Portemonnaie – ins Land reisen können. Erwartungsgemäß eher mit dickem Portemonnaie.

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Deutsche Entwicklungshilfe: Hilfsbereitschaft oder Reiselust?

In einem interessante Beitrag fordert Johann Hari, dass nicht bloß Dominique Strauss-Kahn vor Gericht solle, sondern der ganze IMF. Die Kritik ist, zugegebenermaßen, nicht ganz neu, aber in meinen Augen gut vorgetragen. In einer Zeit, in der internationales Verantwortungsbewusstsein an militärischem Engagement gemessen wird, während man bei verkleideten Militärregimen ruhig mal ein Auge zudrückt und die politische Opposition verhungern lässt (nur bildlich gesprochen – denn Sponsoren wie die Europäische Kommission gaben in letzter Zeit für Human Rights Defenders und Non-State Actors nur Geld für offizielle Aktivitäten innerhalb des Landes, was faktisch alle regimekritischen Projekte ausschließt), bahnen sich in Deutschland Reformen an.

Ende Mai stellte der deutsche Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz ein neues Menschenrechtskonzept vor, das vor allem in der Entwicklungshilfe (offiziell: “Entwicklungszusammenarbeit”) Früchte tragen soll. Das Bundes­ministerium für wirt­schaft­liche Zu­sammen­arbeit und Ent­wick­lung verstärke demnach die Ein­forde­rung und Umsetzung von Menschen­rechten. Das klingt nach meiner Ansicht gut, handelt es sich doch um ein bekanntes Defizit der ansonsten eher auf wirtschaftliche Prioritäten und Vermeidung von politischen Verstimmungen konzentrierten deutschen Außenpolitik.

Die Reform führt unter anderem zu einer Zusammenfassung verschiedener Bereiche in der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), beschreibt die neue Richtung in einer für die FDP ungewohnten Vorgehensweise: “Wir tragen keine Gelder der Wirtschaft hinterher, sondern machen es umgekehrt: Wir versuchen, die Wirtschaft für mehr Entwicklung zu begeistern.” Die Frage bleibt bestehen, ob Begeisterung das selbe wie Verantwortungsbewusstsein ist. Ethische Selbstverpflichtungen der Wirtschaft haben gewöhnlich nur wenig Kraft im Vergleich zu Profitstreben – das liegt bereits im Prinzip begründet.

“Wir beseitigen das Wirrwarr”, sagt Beerfeltz über Reformen, neue Ansätze und Machtverhältnisse in der deutschen Entwicklungshilfe. »Good Governance« sei nicht mehr das Ergebnis, sondern die Voraussetzung für Hilfe. Im Zitat: “Wir wollen Gegen-Eliten aufbauen. Selbst dort, wo es Demokratien gibt, wechseln sich oft ein paar mächtige Familien an der Machtspitze ab. Wenn man Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und schließlich auch Investitionssicherheit will, braucht man Gegen-Eliten. Journalistenausbildung, Talentsuche und Managementförderung ist für uns auch deshalb ein wesentlicher Punkt.” Das klingt wie eine handfeste Revolution in der deutschen Außenpolitik, wenn ich daran denke, wie in Birma bislang die regimenahen Institutionen und NGOs (etwa Myanmar Egress) hofiert wurden. Wird sich das nun ändern?

Und Beerfeltz spart nicht mit Kritik an den bisherigen Motiven: “Die Kollegen aus wichtigen anderen Bundesressorts, die bereit sind, sich mit viel Herz auch für eigene Projekte in unseren Partnerländern zu engagieren, sollten uns das wenigstens erklären: Ist es Hilfsbereitschaft oder Reiselust, was sie dazu bewegt?” Entwicklungszusammenarbeit aus Reiselust ist ein interessanter Aspekt, der mir noch gar nicht eingefallen ist.

Neu seien neben gesteigerter Effizienz (im Sinne der UN Millienniumsziele) auch eine verbesserte Qualitätskontrolle. Ein unabhängiges Institut zur Evaluierung solle noch gegründet werden. Die deutschen Geldgeber wollten dabei mehr Kontrolle im Umgang mit anderen Regierungen, und zwar per Scheckheft: “Wer sich fehlverhält, bekommt Geld weggenommen, andere werden belohnt.”

Und dann gab es da noch eine Gehaltsabsenkung für die Vorstände der GIZ um “lächerliche” 100.000 Euro im Jahr. Das ist in manchen Ländern immerhin das komplette Jahresbudget für mehrere NGOs. Mit diesem Schritt solle vor allem verhindert werden, dass Posten politisch besetzt würden. Mich erinnert es ein wenig an internationale Konferenzen zur Bekämpfung des Hungers, wo allein schon das verschwenderische Buffett einen entscheidenden Aspekt des Problems zu symolisieren scheint.

Das Echo auf die Reform und den konzeptionellen Sinneswandel scheint positiv zu sein: Das FORUM MENSCHENRECHTE etwa begrüßt das neue Menschenrechtskonzept. Es klingt in der Tat vielversprechend, und sicherlich ist es nicht falsch, diese Versprechen vernehmlich zur Kenntnis zu nehmen, um später dann ihre Einlösung umso besser einfordern zu können. Die Umsetzung steht schließlich noch aus. Man darf gespann sein.

Danke ans Asienhaus für das Thema und die Links!

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Der Schuss auf die Mönche: Wie Kameras unser Verhältnis zu Birma bestimmen

Hatte die visuelle Entsprechung zum Begriff Birma1 in unserem Kulturraum bislang vor allem in exotisch schönen Fotos der Reiseprospekte bestanden, so hat sich dieses Land spätestens seit der “Safranrevolution” und dem Zyklon “Nargis” vom touristischen zum überwiegend journalistischen Produkt gewandelt. So interessant das Phänomen Birma aus medienwissenschaftlicher Sicht ist, so bestürzend sind aber auch die Implikationen, wenn wir an die Schicksale einiger Millionen Burmesen denken. Aufschlussreich dürfte zudem sein, was diese Mechanismen für globales gesellschaftliches Engagement im allgemeinen bedeuten.
author: Burma Democratic Concern @Flickr

Birma gehört dabei entgegen einiger Klischees durchaus nicht zu den Ländern, das moderne Kulturtechniken erst zu lernen bräuchte. Das Zeitungswesen etwa kann dort eine weit zurückreichende Tradition vorweisen, die sich auch außerhalb der britischen Kolonien in vielfachen Formen manifestierte. Dies ist nicht verwunderlich angesichts der hohen Alphabetisierung, die das Land einer ursprünglich in klösterliche Lebensweise eingebetteten Schulausbildung verdankt.

Als vielleicht interessantester Indikator einer frühen burmesischen Presselandschaft ist ein Gesetz zu nennen, das am 15. August 1873 von König Mindon erlassen wurde und das in 17 Artikeln etwas garantierte, was wir heute als Pressefreiheit bezeichnen würden2. Diese scheinbare Liberalität soll jedoch nicht über die schon damals praktisch sehr viel beschränkteren Möglichkeiten hinwegtäuschen. Als erstes indigene südostasiatische Gesetz für Pressefreiheit in dem noch nicht kolonialisierten Landesteil steht es im krassen Gegensatz zur heutigen Situation, wenn Birma zu denjenigen Ländern zählt, die weltweit die härteste und umfassendste Medienzensur ausüben. Festgehalten hat das etwa die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Birma auf dem Platz 164 von insgesamt 169 ansiedelt3. Der Jahresbericht von 2008 erwähnt zudem den ermordeten japanischen Reporter Kenji Nagai und etwa 15 verhaftete burmesische Journalisten, wobei die Gesamtzahl mit den Schriftstellern wesentlich höher liegt4.

Repressionen gegen Medien haben in Birma eine jahrzehntelange Geschichte. Seit der staatlichen Unabhängigkeit Birmas erfolgt der erste noch heute gültige Einschnitt nach dem Militärcoup im Jahr 1962 mit dem Printers and Publishers Registration Law. Diesem Gesetz zufolge müssen Verleger Belegexemplare von Büchern, Magazinen und Zeitschriften an die Zensurbehörde5 abliefern. Ein mögliches Verbot greift dabei zumeist in den Produktionsablauf zwischen Druck und Verkauf ein und fördert damit die Selbstzensur, da Verleger andernfalls das Risiko eingehen, auf einer bereits gedruckten Ausgabe sitzen zu bleiben.

Ähnlich restriktiv ist heute der Zugang zum Internet: Nach Forschungen der OpenNet Initiative6 haben lediglich 0,1 bis 0,6 Prozent der burmesischen Bevölkerung Zugang zum Internet. Sowohl die Nutzung über Modem als auch in Internet-Cafés unterliegt vor allem finanziellen Hürden. Wie in anderen Aspekten des burmesischen Alltags gilt auch hier, dass Touristen sehr viel günstigere Bedingungen vorfinden als Einheimische. Die Forschungen der OpenNet Initiative belegen zudem eine umfassende Zensur des Internets, wenn auch nicht so systematisch wie etwa in China. Etwa 84 Prozent der Webseiten mit regimekritischem Inhalt und 85 Prozent der kostenlosen Webmail-Angebote sind blockiert, wobei sich die Kriterien je nach politischer Tagesstimmung verschieben können. Das 1996 erlassene Computer Development Law verlangt eine Lizenz für alle netzwerkfähigen Computer und Faxgeräte. Verstöße werden mit Geldstrafen und Gefängnis bis zu 15 Jahren bestraft. Unter Strafe gestellt ist ferner die ungenehmigte Erstellung von Webseiten.

Wie im Fall des Internets ist auch Satellitentechnik in Birma verfügbar, die Verbreitung jedoch an technische und finanzielle Voraussetzungen gebunden und somit fast nur in den großen Städten anzutreffen. Da die Netzspannung allgemein mehrmals pro Tag von 220 auf bis zu 80 Volt abfällt, benötigt jedes elektronische Gerät eigene Schutzvorrichtungen, um nicht innerhalb kurzer Zeit zerstört zu werden. Nach den Protesten letzten Jahres, als tagesaktuelle Informationen schließlich nur noch über Satellit und Kurzwellensender ins Land gelangen konnten, reagierte das Regime umgehend mit Restriktionen: Die Lizenzgebühr für Satellitenempfänger wurde im Januar um das 166-fache von 5 auf 780 US Dollar angehoben7.

Nach dem Television and Video Act von 1996 sowie dem Motion Picture Law erfordert auch der Besitz von Fernsehgeräten und Videorekordern eine Lizenz. Die Videozensurbehörde ist für eine Kontrolle sämtlichen Filmmaterials verantwortlich, das Birma erreicht oder verlässt. Erfahrungsgemäß wird dieses Gesetz bei Touristen jedoch eher liberal gehandhabt, ganz zum Nutzen des sich größtenteils in der Hand der regierenden Cliquen befindlichen Tourismusgewerbes.

Zwischen Pressefreiheit und Medieninteresse

Bereits während der Proteste im Jahr 1988 kam es zu einer Vielzahl neuer Aktivitäten, die sich gegen Beschränkungen der Pressefreiheit richteten. Zwischen August und September entstanden hunderte neuer Zeitungen, Journale und Pamphlets, deren Ausführung die gesamte Bandbreite zwischen professionellem Medium und Fotokopie bis hin zu per Hand abgeschriebenen Ausgaben abdeckte. Selbst regierungstreue Blätter begannen kritisch über die Veränderungen zu berichten8. Die Pressefreiheit fand erneut ein Ende, als das Kriegsrecht ausgerufen wurde und Militär und Geheimdienst alle kritischen Meinungsäußerungen gewaltsam unterdrückten.

Auffällig ist, dass heute kaum visuelle Dokumente dieser wichtigen Ereignisse existieren. Druckwerke sind erhalten geblieben, viele politische Karikaturen, vor allem aber schriftliche Zeugnisse und mündliche Überlieferungen. Erst von dem anschließenden Wahlkampf vor den bis heute letzten freien Wahlen in Birma existieren wieder Aufnahmen, so vor allem von Aung San Suu Kyi. Aber auch hier bricht die Verfügbarkeit von Dokumenten ein, wenn es zu dem Massaker in Depayin kommt, einem gescheiterten Attentatsversuch an der Oppositionsführerin im Jahr 2003.

Von der Wirtschaftskrise, die bereits 1988 die Proteste ausgelöst hatte, waren ganz sicher auch die technischen Möglichkeiten regierungskritischer Dokumentaristen betroffen. Von verdeckten Videoaufnahmen konnte damals vor dem Zeitalter einer Miniaturisierung der Aufnahmetechnik noch keine Rede sein. Schmalfilm-Formate waren ungeeignet, um eine Kamera längere Zeit einfach mitlaufen zu lassen.

Die Proteste und ihre Niederschlagung von 2007 traten daher medial völlig anders in Erscheinung als ihre Vorläufer vor 19 Jahren. Davon zeugt nicht zuletzt die im Westen eilends geprägte Bezeichnung der “Safranrevolution”, die auf die Roben der Mönche Bezug nimmt und somit ganz direkt die visuelle Dimension zum bezeichnenden Element macht. Hierbei wurde, wohl auch in einer beinahe wortmagischen Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang, die Verbindung zu europäischen Begriff gewordenen Protesten hergestellt – in ihrer Gewaltlosigkeit als “samten” bezeichnet oder mit Farben wie Orange oder Blau charakterisiert.

Medienpräsenz enthüllt jedoch in den sie begleitenden Leerstellen ebenso das Versagen der Medien wie auch die Schwäche derjenigen, die den Anforderungen einer Medientauglichkeit nicht genügen können. Hatten sich die Kameras der Journalisten erst auf die Farbe der Roben “eingeschossen”, waren einige Konsequenzen unausweichlich, von denen hier nur die drei wichtigsten genannt werden sollen.

Erstens: Es wurde fälschlich angenommen, dass Mönche in Birma erstmals im September 2007 ihre Stimme öffentlich für politische Belange erhoben hätten. Zweitens: Ebenso falsch ist der durch den Großteil der Berichte vermittelte Eindruck, dass diese Proteste erst mit dem Auftreten der Mönche begonnen hätten. Vielmehr wurden sie durch bekannte Aktivisten initiiert, die damals praktisch kein Medieninteresse gefunden hatten und gerade im exklusiven Blick auf safranfarbene Roben medial nicht existieren konnten. Und drittens: Die auf Umzüge betender Mönche und Nonnen konditionierten Kameraobjektive mussten der ihrer Arbeit zugrunde liegenden Logik zufolge davon ausgehen, dass wieder Ruhe und Frieden eingekehrt waren, als keine Mönche mehr zu sehen waren. Doch was war wirklich passiert? Das Militärregime hatte sich nach einer kurzen Phase der Verwirrung auf eine seiner Stärken gegenüber dem Ausland zurück besonnen: auf seine Informationshoheit in Birma. Diese durch die Beseitigung kritischer Berichterstatter wiederherzustellen war der erste Schritt zur Imagekorrektur, der zweite eine Verschiebung gewaltsamer Aktivitäten aus den Tag- in die Nachtzeiten und aus dem Zentrum Ranguns hinaus in die Klöster, Vororte und Provinzen.

Das Konzept ging endgültig auf, als die Mönche gewaltsam ihrer Roben beraubt wurden und die Revolution somit neben ihrer religiösen Symbolik auch ihre medienrelevante Farbe einbüßte. Die internationale Gemeinschaft “honorierte” dieses Verbergen der Gewalt mit Nichteinmischung. Gleichzeitig begann das Regime das bereits bekannte “Theater vom guten Willen” vorzuspielen, zu deren Elementen ergebnisarme Treffen mit UNO-Gesandten und Schritte auf einem unheilvoll an Kafkas “Schloss” gemahnenden Weg zu einer vorgeblichen Demokratisierung gehören. Auch das ist eine Seite der Vermedialisierung internationalen Engagements, wenn die Nachfrage nach konkurrenzfähigen Schlagzeilen und griffigen Informationen zu einem Werkzeug in der Hand von Regimen wird.

Bereits im Mai konnte der Zyklon diesen Befund bestätigen, als westliche Medien oft im gänzlichen Widerspruch zur journalistischen Intuition die grotesk heruntergespielten Opferzahlen aus burmesischen Regimequellen übernahmen, obwohl sich unabhängigere Schätzungen durchweg als zutreffender erwiesen als die offiziellen “harten Fakten”.

Ist Medieninteresse maßgebend für globale Verantwortung?

Die burmesische Bevölkerung hat letztendlich im Umgang mit der internationalen Medienöffentlichkeit zweimal aus Schaden klug werden müssen: Einmal im Jahr 1988, als die Isolation des Landes, ein weltweit unterentwickeltes Bewusstsein für die Globalität nichtstaatlichen Handelns und vor allem mangelnde technische Voraussetzungen dazu geführt hatten, dass die Macht internationaler Medien nicht systematisch genutzt wurde. Dann, zum anderen, als 19 Jahre später gerade dieser Mangel behoben wurde und etablierte burmesische Exilmedien in der Lage waren, mit Hilfe eines intelligenten Netzes semiprofessioneller Berichterstatter das Informationsmonopol des Regimes zu durchbrechen.

Dem Erfolg, dass authentische und beweiskräftige Bilder an die Weltöffentlichkeit gelangten und tagelang die Schlagzeilen begleiteten, folgte sogleich die ernüchternde Einsicht, dass die Unterstützer des Regimes wie etwa China und Russland zu mächtig sind und demokratische Staaten, die sich eigentlich zu Menschenrechten bekennen, keinen hinreichenden politischen Willen aufbringen. Für Birma engagierte Organisationen konnten dabei eine Entwicklung öffentlichen Interesses beobachten, die ganz offensichtlich der Intensität der Berichterstattung folgte und nur in Ansätzen einen “Memory-Effekt” zurückließ.

Aktivisten für globale Menschen- und Bürgerrechte müssen gerade nach der Erfahrung der zwei vergangenen Mediengroßereignisse in und um Birma und ebenso mit Blick auf die jüngst niedergeschlagenen Proteste in Tibet und einem in diesem Fall, dank der Olympischen Spiele, nicht ganz so schnell abflauenden öffentlichen Interesses eine ganz elementare Abhängigkeit ihrer Arbeit von den Prioritäten der Medien voraussetzen, wenn eine Mobilisierung öffentlicher und staatlicher Unterstützung angestrebt wird. Die Form und Intensität der medialen Darbietung und die Verzahnung mit den Mechanismen der Medienproduktion bestimmen noch weit vor einer Dringlichkeit des Anliegens den Erfolg dieser Bemühungen. Des weiteren ist davon auszugehen, dass die “Halbwertszeit” von Medieninteresse kaum sinnvolles Helfen ermöglicht, wenn man an die weitaus größeren zeitlichen Dimensionen denkt, die bei strategischen Planungen, Mittelbeschaffung und Personalentscheidungen vorherrschen. Ganz eklatant war dies als Defizit sichtbar, als Medienvertreter im September letzten Jahres europaweit nach Birma-Experten suchten und nur diejenigen fanden, die sich praktisch ohne gesellschaftliche Unterstützung ihre Kompetenz selbst erarbeitet hatten, nun die Aufmerksamkeitswelle bewältigen mussten und dann nach wenigen Wochen wieder mit leeren Händen dastanden.

Im zweiten Schritt ist folglich zu überlegen, ob nicht ein größerer Anteil der Bemühungen in eine günstige Veränderung der Medienlandschaft investiert werden sollte. Dies kann bei der journalistischen Ausbildung ansetzen, bei gesetzlichen Voraussetzungen, bei der Förderung einer allgemeinen kritischen Medienkompetenz, bis hin zur Etablierung eigener Instrumente und Einrichtungen. Ein mögliches Ergebnis etwa könnte wie die bereits erwähnten burmesischen Exilmedien aussehen, die in der gesamten Produktionskette autonom agieren können und denen nur eine breitere und längerfristig interessierte Leser- bzw. Hörerschaft fehlt.

Autor: Christoph Amthor
Erstabdruck: Jahrbuch für Friedenskultur 2008

 

1 Im Deutschen sind ebenso die Bezeichnungen “Burma” oder “Myanmar” anzutreffen.

2 “If I do wrong, write about me. If the queens do wrong, write about them. If my sons and my daughters do wrong, write about them. If the judges and mayors do wrong, write about them. No one shall take action against the journals for writing the truth. They shall go in and out of the palace freely.” (www.irrawaddy.org)

3 Reporters sans frontiers, „Press Freedom Index 2006‟

5 Press Scrutiny Board (PSD)

6 opennet.net

8 Tin Maung Maung Than: The Media in Myanmar. In: Media Fortunes, Changing Times: ASEAN States in Transition. Singapore 2000

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Ein kolonialistisches Verhältnis zu Demokratie in Birma?

Um Demokratie und Stabilität in einer Diktatur zu erreichen, darf man sich nicht nur an die betreffende Regierung halten und mit deren gutem Willen rechnen. Doch auch demokratisch gewählte Regierungen scheinen Probleme zu haben, die fremde Zivilgesellschaft als Partner zu begreifen. Das Streben nach “Recht und Ordnung” räumt zu oft der Ordnung einen hohen Stellenwert ein, und dies im Glauben, dass ein autoritärer Staat zumindest Sicherheit und Wohlstand gewährleiste.

Dass dem nicht so ist, zeigt etwa das Beispiel Birmas, wo sich Wohlstand und Entwicklung auf eine sehr kleine und zudem  u.a. ethnisch bestimmte Gruppe beschränken.

Mir scheint, dass in Deutschland –  vor allem in politischen, institutionellen und gesellschaftlichen Führungkreisen – zudem oft ein gewisses Unbehagen mit fremden Kulturen zu finden ist, bei denen eine politische Betätigung sehr viel persönlicher und emotionaler auftritt, weniger in regulierten, institutionalisierten Formen, und wo sich dies Engagement in anderen Riten ausdrückt und andere Symbole verwendet, als sie in Deutschland geläufig sind (und daher schon gar nicht mehr als kulturelle Eigenheit wahrgenommen werden).

Es darf daher nicht überraschen, wenn sich die Oppositionsbewegung Birmas kritisch zu Wort meldet: Birmas Oppositionschefin fordert mehr deutsches Engagement und “Deutschland könnte mehr für Birma tun”. Sicher, auch die Opposition muss sich Kritik gefallen lassen, aber das gehört  zu einer lebendigen Demokratie, die nicht nur in Vorstandsetagen und Luxushotels stattfindet, sondern sich dort bildet, wo sie am dringendsten benötigt wird und wo es zunächst einmal um das Überleben der Institutionen und ihrer Mitglieder geht.

Der Verdacht hängt immer noch in der Luft, dass wirtschaftliche Interessen den Ausschlag für die Position der deutschen Regierung geben, die nicht unbedingt dazu geeignet sind, Demokratie und die Einhaltung von Menschenrechten zu fördern. Von zahlreichen Investitionen und Kollaborationen mit der Junta wurde schon im Jahr 1996 berichtet. Das Asienhaus schreibt 2004 vom Außenhandel zwischen Burma und Deutschland im Steigflug – wobei sich der daraus folgende Höhenflug sicher nur auf diejenigen Teile der birmanischen Bevölkerung beschränkt, die das Regime am neuen Reichtum teilhaben lässt. Weitere Einzelheiten sind in meinem älteren Beitrag Ein kritischer Blick auf Deutschland und sein Verhältnis zu einer Militärdiktatur zu finden, wo auch Pro Asyl zu Wort kommt.

Ich sehe also zwei Gründe ausschlaggebend für dieses problematische Verhältnis:

  1. Zu einem großen Teil geht es einfach um wirtschaftliche Interessen und eine daraus folgende Vernachlässigung “idealistischer” Werte. Darin steckt auch die Neigung zu einer sehr “kolonialistischen” Einstellung, nach der man auf die Bevölkerung der sogenannten (und so behandelten) “Dritten Welt” mit einer merklichen Geringschätzung hinab blickt, indem man bei ihnen sehr viel geringere Wertmaßstäbe anlegt als bei Landsleuten, zudem mit der Überzeugung, man wisse besser als sie, was gut für sie sei. Diese sehr massive wirtschaftliche und politische Einmischung geht oft mit einer zynisch anmutenden Forderung nach Nichteinmischung einher, was universelle Menschenrechte betrifft.
  2. Daneben trifft man viele Beteiligte, die eigentlich an einer Verbesserung der Lage interessiert sind, die sich aber ihre “Expertenmeinung” bereits als Reisende oder Expats in Birma bilden. Ich würde mir diesen Standpunkt keinesfalls anmaßen und halte es für unglaubhaft, lächerlich oder sogar gefährlich, wenn Ausländer nach kurzer Zeit und mit der Begründung, bereits mehrfach im Land gewesen zu sein und mit örtlichen Partnern zusammenzuarbeiten, behaupten, mit Sicherheit den richtigen Weg weisen zu können. Mit verlässlicher Regelmäßigkeit lässt sich feststellen, dass nicht einmal Birmanen von allen wichtigen Vorgängen in ihrem eigenen Land wissen, was angesichts der unterdrückten Presse und einer Politik der Apartheid nicht verwunderlich ist. Oft lässt sich zudem feststellen, dass sich viele ausländische Experten von der Art der Selbstinszenierung birmanischer Exilaktivisten abgestoßen fühlen, so dass sich ihre Behandlung dieser Thematik dann oft wie eine persönliche Abrechnung ausnimmt.

Möglicherweise lässt sich der Auffassung von Demokratie und der Umgang mit Zivilgesellschaft in anderen Ländern darauf zurückführen, wie man dazu im eigenen Land steht. Deutschlands politischer Mythos lässt sich vielleicht auf den Begriff “Exportwirtschaft” reduzieren. Es bräuchte sicher eingehendere Forschungen, ob dahinter eine moderne Form des Kolonialismus, zumindest aber eine deutsche Variante von Said’s Orientalismus steckt. Mich würde es nicht überraschen.

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Wettlauf Masse gegen Macht

Die Mächtigen, so scheint es, haben das Internet wieder einmal seiner magischen Kräfte beraubt. Es schwärmt sich leicht von der Macht der Masse und man vergisst nur allzu leicht, dass man sich im Netz nicht in einem Medium bewegt, das so frei erhältlich ist wie die Luft, die wir atmen und die unsere Worte zu nahen Menschen trägt.

Gleichheit, Utopie; photo: Thomas Hawk

Ein Rückzug in einen Zustand neo-romantischer Technikvermeidung scheint längst schon nicht mehr möglich, zumindest nicht sinnvoll zu sein, außer dass man sein Heil in mönchischer Weltentsagung sucht, die aber oft einem verantwortungslosen Eskapismus gleich käme. Vielmehr scheint es notwendig zu sein, einserseits mit der Entwicklung Schritt zu halten, andererseits aber eine völlige Abhängigkeit zu vermeiden.

Das Internet war nie egalitär gewesen. Weder in seiner inneren Logik, noch in seinem Dasein in der Welt. Vielleicht war es immer schon mehr eine Idee gewesen als Realität, der sie stets ein gutes Stück voran lief, angetrieben von atemloser technischer Entwicklung. Ältere Vorstellungen von einer Zivilgesellschaft ohne Reibungsverluste und der Selbstregulierung herrschaftsfreier Räume, die von der Dynamik von Interessengemeinschaften oder, nach anderen Vorstellungen, von marktwirtschaftlichen Gesetzen gestaltet werden, haben hier ihr ersehntes Zuhause gefunden. Wo Realität emuliert wird, werden Utopien schnell zum Leitmotiv.

Doch dann und wann wird man aprupt aus seiner Immersion geweckt, zumeist wenn man sich schmerzhaft in der realen Welt stößt. Trotz intensiven social networkings stellt man soziale Defizite fest. Bei dem Umtausch vom Virtuellen ins Reale schrumpfen so manche Reichtümer zu lächerlichen Beträgen, der Wechselkurs von friends zu Freunden ist nicht eben günstig und die virtuellen Muskeln politischer Schlagkraft können auf der Straße durchaus entmutigend ausfallen.

Wieder zeigt es sich, und das Internet bildet keine Ausnahme, dass es nicht irrelevant ist, welches Ende man in der Hand hat. Das galt schon für Waffen, und es gilt für viele Werkzeuge und andere Produkte unserer Zivilisation. Demokratie beginnt schon beim Rahmen.

photo: Thomas Hawk

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Die Wahl der Generäle

Im Vorfeld von Birmas bedeutsamen Wahlen befindend sich unter den eifrigsten Unterstützern der Junta auch westliche Regierungen, die sich schier verrenken, um ihre Haltung zu rechtfertigen.

Übersetzung eines Artikels von Maung Zarni

Birmas Militärregime hat es gelernt, von den Wahlen mit doppelter Zunge zu sprechen und die bevorstehende “Auswahl durch die Generäle” als “demokratische Wahl” zu bezeichnen. Aber es gibt nur wenige Menschen in Birma,  die ihnen das abnehmen, anders als etwa lautstarke Cheerleaders und  Apologeten des Regimes. Dabei hält der alternde Despot, “Senior” General Than Shwe, die Fäden höchstpersönlich in der Hand und erstrebt einen vom Militär dirigierten Übergang von einer direkten Herrschaft zu einer indirekten mit ziviler Maske. Der General lässt sich dabei nicht in die Karten blicken, wenn er seine Untergeordneten und Stellvertreter im Dunkeln lässt und seine Trümpfe als letzte Schritte in der Roadmap to Democracy vermarktet.

Inzwischen können Birmas Nachbarn, von ASEAN bis hin zu China und Indien, das Ende der Wahl – momentan geplant für den 7. November –  gar nicht erwarten, so dass sie fortan internationale Kritik an ihrem Schmusekurs mit der einzigen wahren Militärdiktatur in Süd- und Südostasien abweisen können. Die meisten Birmaexperten (z.B. Brookings Institution und der International Crisis Group) reden von der Notwendigkeit, die angebliche Gelegenheit einer Wachablösung in Naypyidaw zu ergreifen, um die nächste Generation von Offizieren in Richtung wirtschaftlicher Reformen zu drängen – was, so ihr Argument,  eine politische Liberalisierung mit sich bringen werde. Das allzu lebendige Beispiel eines post-maoistischen China jedoch versetzt solch einer unausgereiften Theorie von einer “Entwicklungs-Demokratie” einen herben Dämpfer.

Doch auch die Opposition in Birma ist nicht völlig geeint. Zum beträchtlichen Leid von Aung San Suu Kyi von der größten Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) und auch anderer führender Dissidenten unterstützen einige Regierungen der Europäischen Union (zum Beispiel Deutschland) eine kleine Gruppe von NLD-Abtrünnigen ohne öffentlicher Gefolgschaft, die von den Wahlen als einziger Option sprechen – in der Diktion von David Lipman, EU-Botschafter in Bangkok, “the only game in town”. Es dürfte nicht überraschen, dass Suu Kyi und ihre mehrere tausend Kollegen hinter Gittern und ebenso weitere tausende im Exil diese pragmatische Resignation nicht zu teilen vermögen.

Verwässerung von Gift

So wie der freie Markt die Raison d’Être der postsowjetischen Welt ist, so wurde das, was man als “Zivilgesellschaft” bezeichnet, zum politischen Werkzeug, strategischen Schlüsselbegriff und Finanzierungsprogramm. Dieser akademisch oft hinterfragte Begriff – ein Produkt des feudalen Deutschlands im 18. Jahrhundert – war plötzlich en vogue, und dies vor allem unter Entscheidungsträgern, Journalisten und schlauen Praktikanten in westlichen Hauptstädten. Statt eine aufrichtige politische Solidarität mit einigen tausenden birmanischen Dissidenten hinter Gittern und der birmanischen Öffentlichkeit insgesamt zu bezeugen, haben diese westlichen Cheerleaders der Wahlen zugleich Podium und Spesen für unechte “zivilgesellschaftliche” Aktivisten hergegeben, die nicht im Mindesten die öffentliche Stimmung repräsentieren.

Die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist eine solche in der EU ansässige Institution. Trotz ihres vorgeblichen Ziels, “internationale Gerechtigkeit” zu unterstützen (und obwohl sie nach dem ersten1 demokratisch gewählten Präsidenten des Landes benannt ist), unterhält diese einflussreiche politische Stiftung enge Beziehungen mit dem externen Propagandaflügel des Regimes, so etwa  dem Myanmar Institute of Strategic and International Studies, und unterstützt kontroverse lokale NGOs wie etwa Myanmar Egress. Der NLD-Politiker U Tin Oo hat diese Beziehung treffend als “Vermittlung zwischen den regierenden Cliquen und der National Democratic Force (NDF)” bezeichnet, die von NLD-Abtrünnigen geformt wird, welche die Wahlen unterstützen. Kürzlich hat die FES ein öffentliches Forum in Berlin veranstaltet, wo zwei von Birmas lautstärksten Stimmen zugunsten der Wahl auftraten: Khin Zaw Win, ein früherer politischer Gefangener und NGO-Aktivist, und Nay Win Maung, der Kopf von Myanmar Egress. Angeblicher Zweck ihrer Anwesenheit war, die vielfältigen Stimmen von Birmas Zivilgesellschaft zu repräsentieren. Zu dem Duo gesellte sich  zudem Andreas List, dem für Birma zuständigen EU-Sachbearbeiter, der ebenfalls eine starke Position zugunsten der Wahlen vertritt. Für viele Beobachter stellte dies ein Widerspruch zur erklärten Mission der FES dar, Pluralismus in den Stimmen aus und über Birma zu fördern.

Der 90 Jahre alte U Tin Oo, NLD-Mitbegründer und ranghoher Kollege von Suu Kyi, nahm dies zum Anlass, ein offizielles Schreiben an List zu verfassen, worin er die tiefe Besorgnis seiner Partei angesichts von EU-Vertretern zum Ausdruck brachte, die solchen nicht repräsentativen Experten ein Podium bieten. Tatsächlich geht diese Produktion von elitären “zivilgesellschaftlichen Stimmen” bereits einige Jahre vonstatten. Einige Europäische Institutionen – so wie die Europäische Kommission, das britische Department of International Development (DFID) und das Foreign and Commonwealth Office, das niederländische Oxfam Novib und Action Aid, um nur einige zu nennen – haben sich als Geldgeber beim Aufbau und der Förderung eines kleinen aber einflussreichen Kreises von “zivilgesellschaftlichen Akteuren” hervorgetan. Dabei haben sie sich birmanische Stellvertreter herangezogen, um die Vermarktung der dortigen Wirtschaft und eine Durchdringung der Politik von NGOs voranzutreiben, und dies auf Kosten der Opposition im Besonderen und der Öffentlichkeit im Allgemeinen.

In vielen der strategischen Diskussionen hinter verschlossenen Türen über Birma, denen der Autor in den letzten Jahren in London, Bangkok, Washington und Brüssel beiwohnen durfte, haben selbsternannte Experten der Staatenbildung und ihre westlichen Geldgeber eine höchst problematische Perspektive gefördert. Es ist unfassbar, dass, ihnen zufolge, gerade die 2000 birmanischen Dissidenten hinter Gittern, Suu Kyi mit eingeschlossen, und ihre Unterstützer im Exil das wahre Hindernis einer wirtschaftlichen Entwicklung in Birma darstellen sollen. Dies ist die Botschaft an sympathisierende Zuhörer, die Vertreter westlicher Regierungen mit eingeschlossen, UN-Funktionäre und Expertenkommisssionen, sowie Vertreter multilateraler Finanzeinrichtungen. In einigen Fällen ziehen nach Birma entsandte Diplomaten, im krassen Unterschied zum offiziellen Standpunkt ihrer Regierungen, im privaten Gespräch über die eingesperrten Dissidenten und ihre “Unfähigkeit, pragmatische und praktische Veränderungen herbeizuführen” her, während ihre Regierungen daheim lautstark das birmanische Regime wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen.

Die Birmanen sind entsetzt zu sehen, wie bereitwillig Außenstehende solch falsche Theorien begrüßen, wie etwa die Idee, dass eine mangelhafte Wahl immer noch besser sei als gar keine. Dabei werden örtliche Eliten wie Khin Zaw Win und Nay Win Maung benutzt, die es gelernt haben, die “Sprache der Zivilgesellschaft” zu sprechen, während sie sich selbst als etwas Besseres als die übrigen Birmanen betrachten. U Aye Thar Aung, der prominente arakanesische Politiker, hat diese Unterstützung der wahlfreundlichen Elite von außen als “Vewässerung von Gift” bezeichnet. Nichtsdestoweniger erfüllt das Mantra von der “Bereitschaft, die Lage nach den Wahlen auszunutzen” einen guten Teil des launischen strategischen Diskurses von Washington und Bangkok bis nach Brüssel und Berlin – eine bedeutsame Verschiebung von der früheren Haltung der selben Leute, dass bereits die Wahl der Zug sei, auf den die Opposition aufzuspringen habe.

Das größte Paradox jedoch besteht darin, dass in der Werbung für die Zivilgesellschaft als wichtigstem Richtungswechsler in Birma gerade die sprichwörtlichen Massen keinen Platz erhalten haben. Selbst die birmanische Öffentlichkeit kauft einem diese paternalistische Sichtweise, dass wirtschaftlicher Wohlstand, politische Freiheit und ethnische Gleichheit von einer Zivilgesellschaft “Made in EU” kommen können, längst nicht mehr ab.

Weiter wie geplant

Der Großteil der birmanischen Opposition gibt trotz der zwei Jahrzehnte währenden Bemühungen des Regimes um Vereinnahmung und Vernichtung nicht etwa klein bei. Genauso wenig hegt die birmanische Öffentlichkeit große Erwartungen an einen “Strukturwandel” nach den Wahlen. Trotz internationaler Spekulationen der Medien, die einem unverbürgten Optimismus das Wort reden, hat der Großteil der Bevölkerung gegenüber den herannahenden Wahlen eine indifferente Haltung eingenommen. Dies hat sogar Khin Maung Swe von der die Wahlen unterstützenden NDF öffentlich zugegeben. Diese Gleichgültigkeit der Wähler mag eine Reaktion auf  die Gleichgültigkeit des Regimes sein, das das Allgemeinwohl völlig missachtet. Dies gilt nicht nur für den Fall des regulären öffentlichen Lebens, wie zum Beispiel im völligen Fehlen eines staatlich geförderten sozialen Netzes und sozialer Dienstleistungen ersichtlich wird, sondern auch in Zeiten nationalen Notstandes, wie etwa nach dem Zyklon Nargis im Mai 2008.

Warum sollte sich die birmanische Wählerschaft für die heraufziehenden Wahlen interessieren, nachdem doch das Regime keine der öffentlich respektierten Dissidenten zugelassen hat? Jeder Dissident, den die Generäle in ihrer 22-jährigen unpopulären Herrschaft als Bedrohung wahrnahmen, sitzt hinter Gittern oder wurde ins Exil verdrängt. Das ergibt somit eine Anzahl von über 2000 potentiellen Kandidaten, die nicht an den Wahlen teilnehmen können – Personen mit wertvollem beruflichem Hintergrund, Jahren an Erfahrung im Aufbau von politischen Organisationen und mit wirklicher Unterstützung durch die Bevölkerung. Zudem rekrutieren sie sich aus einer breiten Basis ethnischer und religiöser Provenienz.

Während das Regime den Nachbarn und der gesamten Welt erzählt, dass die Vorbereitungen zur Wahl wie geplant voranschreiten, knebelt die Wahlkommission Kandidaten bei politischen Schlüsselthemen und löst zehn etablierte politische Parteien auf, darunter die NLD. Darüber hinaus hat es, seit ihm klar geworden ist, dass seine eigene Partei Union Solidarity and Development Party (USDP) nicht in Gebieten der ethnischen Minderheiten wie den Kachin, Karenni, Karen, Mon, oder Shan gewinnen kann, die  Wahlen in etwa 200 Dörfern schlichtweg gestrichten. Als Begründung dient ihm, dass infolge von Sicherheitsbedenken in diesen Wahlkreisen keine “freien und fairen Wahlen abgehalten” werden könnten. Dieser Schachzug führt zu einer Win-win-Situation zugunsten der Generäle, da nun der Weg geebnet ist, um diese Gebiete zu “schwarzen Zonen” zu erklären, wo die Bevölkerung in die Schusslinie der Armee mit dem Befehl zur gezielten Tötung gerät. Gleichzeitig hat die Wahlkommission 14 Politikern der ethnischen Gruppe der Kachin die Registrierung verweigert, da sie befürchtet, sie könnten starke Unterstützung unter der örtlichen Bevölkerung und von der Kachin Independence Army (KIA) erhalten. Die KIA hat mit dem Regime ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, weigert sich nun jedoch, sich in eine Grenzschutztruppe unter staatlichem Oberkommando umwandeln zu lassen.

Das Regime hat zudem eine Registrierungsgebühr von 500 US Dollar pro Kandidat festgelegt, was eine unerhört hohe Summe in einem Land darstellt, wo das jährliche Pro-Kopf-Einkommen rund 200 Dollar beträgt. Das Ergebnis kann nicht überraschen: Sogar die NDF (die größte der neuen pro-demokratischen Parteien, betrieben von NLD-Abtrünnigen) und die Democracy Party (Myanmar), an deren Spitze drei bekannte Töchter von Premierministern einer lang verflossenen zivilen parlamentarischen Epoche stehen, kann nur eine Gesamtzahl von 200 Kandidaten ins Rennen schicken, bei etwa 1000 möglichen Plätzen. Im Kontrast dazu treten die regimeeigene USDP und die regimefreundliche National Unity Party (NUP), in der ehemaliges Militärpersonal aus den Zeiten des ersten birmanischen Diktators Ne Win kandidieren, in praktisch allen Wahlkreisen an.

Während der vorangegangenen Wahlen im Jahr 1990 hatten die birmanischen Generäle ähnlich drakonische Wahlgesetze verabschiedet. Dutzende von Parteien, die NLD eingeschlossen, nahmen dennoch teil. Die Generäle, die ursprünglich davon überzeugt waren, dass die Opposition zu zersplittert sei, um die regimefreundliche NUP der Militärs zu besiegen, wurden von einem erdrutschartigen Sieg der NLD überrascht, in der sie 82 Prozent aller Parlamentssitze und 60 Prozent der Stimmen gewann. Zurückgeführt wurde das Ergebnis auf taktisches Wählen, indem sich  Wähler bei anderen Parteien registrierten als sie letztendlich wählten.

Diesmal gehen die Generäle kein Risiko ein. Das Regime könnte sogar die Partei der NLD-Abtrünnigen, die NDF disqualifizieren, die momentan die drittgrößte Anzahl von Kandidaten ins Rennen schickt, nämlich 161. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die NDF politische und, so wird behauptet, auch finanzielle Unterstützung aus dem Ausland wie etwa EU Regierungen und Stiftungen über Stellvertreter-NGOs wie Egress erhält – beides ist durch die birmanische Verfassung von 2008 untersagt.

Ein Mehr an Zivil

Jeder Student, der den Übergang von Regimen zur Demokratie studiert, weiß, dass Wahlen einen notwendigen Bestandteil in allen sich entwickelnden demokratischen oder semi-demokratischen Systemen darstellen. Für sich allein genommen jedoch ist eine Wahl nichts wert, vor allem wenn im weiteren Zusammenhang weiterhin Unterdrückung herrscht. Mit Blick auf die handfesten Repressionen in Birma werden es selbst die Befürworter der Theorie, dass mangelhafte Wahlen immer noch besser seien als gar keine, äußerst schwer finden, den sich über den Wahlen zusammen ballenden dunklen Wolken etwas Positives abzugewinnen.

Ein zentraler Kritikpunkt gegen die prinzipientreue Gegnerschaft der Wahlen besagt, dass Birmas vom Volk ausgegangene Revolten stets überwältigende Misserfolge waren. Jede neue Welle massenhafter Opposition seit 1962 wurde stets mit Kugeln und Bajonetten niedergeschlagen. Was aber die Befürworter dieser Kritik bequem übersehen, ist die Tatsache, dass erfolgreiche Massenaufstände, von den Philippinen eines Marcos bis hin zu Suhartos Indonesien, stets von äußeren Ereignissen begleitet wurden. Auf den Philippinen, zum Beispiel, handelte es sich um den Rückzug der amerikanischen Unterstützung für Marcos. In Indonesien hatte der Zusammenbruch des asiatischen Finanzmarktes Suhartos Griff entschieden gelockert. Tatsächlich wurde keine Kolonialherrschaft oder faschistische Okkupation in der Geschichte ohne erheblichen externen Impuls beendet, so wie internationale Solidarität immer eine elementare Rolle in erfolgreichen Revolutionen gespielt hat. Die Birmanen jedoch sind in ihrem Kampf gegen das Regime auf sich selbst gestellt, während die internationale Gemeinschaft lediglich Lippenbekenntnisse ablegt – obwohl eine Persönlichkeit wie Suu Kyi im Zentrum des birmanischen Überlebenskampfes gegen die Generäle steht. Wenn man nun die Opfer und mit ihnen die Dissidenten für die Lage verantwortlich macht, so wie es momentan in der Diskussion um Birma geschieht, so fügt man dem Schaden nur noch seinen Spott hinzu.

Diejenigen lokalen und globalen Personen und Institutionen, die die Wahl der Generäle befürworten, bevorzugen die zu erwartenden Ungewissheiten bei Strukturen und Institutionen gegenüber der Gewissheit einer fortgesetzten politischen Pattsituation zwischen der Opposition und dem herrschenden Militär. Für die Birmanen ist das alles nichts Neues. Am 12. Jahrestag der Herrschaft des Revolutionsrates von General Ne Win im Jahr 1974 wurde der birmanischen Wählerschaft eine neue Verfassung angeboten, die den damals herrschenden Generälen zufolge von 91 Prozent aller Wahlberechtigten angenommen wurde. Danach wurden Wahlen in einem sozialistischen Einparteiensystem abgehalten. Über Nacht bekam die Öffentlichkeit eine nominelle Gewaltenteilung, ein Volksparlament und eine Massenpartei mit breiter Basis, und alles unter der Führung von “Generälen in Zivil”. Ein Sprung ins Jahr 1988, und all diese Strukturen und Institutionen fielen ins sich zusammen wie ein Kartenhaus inmitten einer Serie von landesweiten Volksaufständen.

Gedächtnisschwund bei der eigenen Geschichte mag das Markenzeichen mancher Völker sein, die Birmanen aber sind sich ihrer Vergangenheit sehr wohl bewusst. Sie wissen, dass die nun angebotenen Veränderungen nur kosmetischer Natur sind. Insbesondere wissen es diejenigen Birmanen, die die erste Periode der Militärherrschaft mit ziviler Maske überlebt haben. Sie haben sogar eine Redewendung dafür: “Wir sind bereits einmal gestorben und kennen den Preis eines Sarges”, was so viel heißt wie: Wir haben nicht vor, politischen Selbstmord zu begehen und mit dem Tod zu flirten. Europa, das vor nur 60 Jahren faschistische und nationalsozialistische Okkupationen durchlebt hat, hat bereits die grundlegenden Lehren seiner eigenen Geschichte vergessen: Dass keine Tyrannenherrschaft kampflos aufgibt.

Was die birmanische Öffentlichkeit – und 2000 eingesperrte Dissidenten – von westlichen Regierungen und anderen Institutionen heute brauchen, ist, dass letztere aufhören sich so zu gebärden als ob Außenministerien in Europa, Pseudoexperten in Washington oder die globale humanitäre Industrie wüssten, was für die Menschen in Birma am besten ist. Sie müssen aufhören, den Generälen ihr falsches Gerede über die Wahlen nachzuplappern. Und wenn sie wirklich so gar nicht dazu bereit sind, echte Solidarität für Birmas jahrzehntelangen Kampf gegen hausgemachte Tyrannen, in Uniform oder Zivil, aufzubringen, dann sollten sie doch zumindest einem neuen Mantra folgen: Richten Sie keinen Schaden an, weder der birmanischen Opposition im Besonderen, noch der birmanischen Öffentlichkeit im Allgemeinen.

Autor: Maung Zarni, Oktober 2010

Quelle: Himal, Southasian

Übersetzung von mir.


  1. nach dem Krieg, Anm. d. Übers.

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Kyrgyzstan vs. Burma: 1-0

I just came across an interesting news report:

The Kyrgyz President Roza Otunbayeva has launched what is hoped to be the first free election for a parliamentary republic in Central Asia, when she signed a decree setting the date for 10 October.

Here is something that Burmese leaders can learn about speed and precision. While the junta still leaves it up to rumors to convey the date of 10/10/2010 – absurdly considered an auspicious number by the anti-Christian leaders, even though these dates stem from Western culture and are calculated after Christ’s birth – the Kyrgyz people have simply made a decree and set the date.

In Burma, the pseudo-democratic elections might as well be in December. Or next year.

The only clear thing I can discover in the obscure matter of Burma’s upcoming elections is the junta’s message:

What does it matter anyway?

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